Freitag, 8. Juli 2011

Autorität in der Erziehung - ein altes Thema

Herdenregeln
Kennt man sich heute überhaupt noch aus? Sehr harte Erziehungsmethoden werden als "gewaltlos" oder "sanft" verkauft und andere Wischi-Waschi-Ansätze als "hier wird klar und kompromisslos nach den Herdenregeln vorgegangen".

Bei Pferden sind die Herdenregeln relativ übersichtlich: machst du etwas, was nicht passt, ignoriere ich dich entweder oder es setzt etwas. Vergessen wir dabei denn nicht, dass in einer Herde niemand etwas von dem anderen will (Paarungszeit einmal ausgenommen) oder wirklich zu etwas zwingen kann, was dem entspricht, was wir heute mit unseren Tieren machen? Manchmal wirkt es so, als gäbe es zwei parallele Welten - die der Erziehung durch Autorität und die andere durch Liebe.

Wann brauchen wir Autorität? ...

Stellen wir uns vor, jemand der uns nahesteht, unser Partner, Kind, enger Freund oder auch unser Pferd oder Hund, kommt auf die Schnapsidee, auf der Autobahn herumlaufen zu wollen - oder bei Rot auf einer dicht befahrenen Kreuzung. Egal was es kostet, in diesem Fall gehe ich dazwischen. Im Notfall sehr autoritär und mit Bereitschaft, auch körperlich einzugreifen.

Was ist das jetzt? Liebe? Selbstlosigkeit? Unangemessenes, autoritäres Verhalten, da ich mir anmute, meine Entscheidung - die Person zu beschützen - wäre mehr Wert als wie deren Entscheidung, über die Straße zu gehen?

Ein anderes Beispiel wäre die Überlegung, ob es Sinn macht, meinem Kaltbluthengst beizubringen, sich Halftern und Führen zu lassen. Vertigo jedenfalls war zuerst der Meinung, dass er definitiv nicht dazu gezwungen werden könnte, dazubleiben, nur weil wir dies verlangten. Aber würde ihn das nicht auf der anderen Seite dazu verdammen, sein Leben auf mehr oder weniger der selben Koppel zu verbringen? Ist das ein "freies" und "schönes" Leben?

Vertigo bleibt ganz ruhig angebunden stehen und lässt sich putzen, obwohl Denicheur ausserhalb der Weide ist.
Von daher, wenn ich ganz ehrlich in mich horche, gibt es auch für mich die Punkte von "da muss ich bzw. er jetzt durch"! Wieso muss man vor so einer Konfrontation Angst haben?

... und wann müssen wir auf unser Herz hören?

Einmal anhalten und nachdenken unerwünscht?
Ein bockendes Pferd - und später stellt sich heraus, dass es Rückenschmerzen hatte. Ein eingeschlafenes, trauriges Pferd - es wurde stundenlang durch die gleichen Dominanzübungen geschleift. Ein Springpferd, welches nicht hoch genug springt, die Stangen reisst und deswegen Barren an die Beine geschlagen bekommt ...

Das sind alles todtraurige Geschichten, welche wir mit allerlei Vorschriften und Tierschutzgesetzen einzudämmen versuchen, aber diese können nie unser Herz ersetzen. Was nutzt die strengste Disziplin und Leistung, wenn darunter alles leer ist und emotionaler Bezug nur durch ein routinemäßiges Tätscheln des Pferdehalses nach einer gelungenen Aufgabe ist?

Ein Glück, dass das heute immer mehr Menschen aufzugehen scheint!

Viele Leute erleben ausserdem, dass es ihnen schwerfällt, wirklich selbstsicher und "dominant" aufzutreten. Auch wir sind nicht alle das geborene Leittier - vielleicht ist es unser Pferd ja eigentlich noch viel mehr als wir selbst? Genau diese Empfindungen können wir nicht verstellen und dann mit geschummelter Autorität etwas erzwingen. Pferde sind in dieser Hinsicht noch viel sensibler als wir Menschen und letztlich machen wir uns dadurch immer nur selbst zum Affen.

Bevor wir urteilen ...

Traurige und gebrochene Stute auf einem Parellikurs
... können wir überprüfen, ob wir etwas für uns selbst oder für unser Gegenüber, ergo für unser Pferd, tun. Vertigo ist dadurch, dass wir (dann ja doch mit Nachdruck auf dem Kurs) verständlich gemacht haben, dass ein Halfter in einem Pferdeleben einfach dazugehört, über sich selbst gewachsen und kann nun vieles erleben, was ihm viel mehr verspricht, als nur wie ein Weidevieh auf der Koppel herumzustehen.

Gehen wir den Weg zusammen mit unserem Gegenüber! Sprechen wir unseren Freund, der gerade auf die Autobahn rennen will, an und nehmen ihn an die Hand - bieten ihm etwas, was ihm Trost spendet und ihm zeigt, dass er uns sogar Wert ist, dass wir über unseren eigenen Schatten springen!

Gleichzeitig denken wir daran, dass auch wir selbst etwas wert sind! Den eigenen Lebensbereich zu verteidigen und einzufordern hat weder etwas mit Dominanz, noch mit Autorität zu tun!

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