Freitag, 28. Oktober 2011

Gewaltfrei?

Gebe ich bei Google das Stichwort "Gewaltfrei" im Zusammenhang mit "Pferde" und "Reiten" ein, so komme ich als erstes Ergebnis auf einen Artikel über Monty Roberts. Ich will nun nicht lange über diese Methode sprechen - dazu bräuchte es mehrere, gesonderte Artikel - aber ich will mich tatsächlich einmal bewusst damit auseinandersetzen, was wir als gewaltfrei empfinden und wie man zwei Begriffe wie "Gewalt" und "Freiheit" in einem Wort unterbringen kann. 


Bloß weil man nicht haut ... 

Offensichtliche Gewalt
Im ganz oberflächlichen Sinne meint man Gewalt daran zu erkennen, ob einer zuschlägt oder eben nicht. Wir denken als erstes an körperlichen Schmerz - jedoch; jedem ist es ebenfalls offensichtlich, dass auch ein Gefangensein in einer ausweglosen Situation zwar im ersten Moment keinen Schmerz hervorruft, aber doch ein unglaublicher geistiger Übergriff ist, der mit Gewalt gleichzusetzen ist.


Es gibt also auch psychische Gewalt. Um jemanden einzusperren muss man nicht hauen und trotzdem erlebt "das Opfer" Gewalt.


Schauen wir uns nun das Pferd an. Als Fluchttier wird sein Inneres auf Bedrohung zumeist mit Davonlaufen reagieren, denn es setzt von seiner Natur aus darauf, gar nicht erst in den Kampfmoment zu kommen, da es dann - gegenüber einem Raubtier - bereits verloren hat. 


Viele Leute zucken zusammen, wenn sich ein Pferd absichtlich von einer Peitsche treffen lässt, weil es einfach den Individualraum nicht respektiert, haben aber gleichzeitig das Gefühl, dass Ausbildungsmethoden die aktiv den Willen des Pferdes brechen, dabei aber das Pferd nicht berühren, automatisch gewaltfrei sein müssen. Und dann finden sie es auch noch normal, wenn sich in einem Herdenverband die Pferde vom Futter wegjagen - ich frage mich wirklich, wo da noch die Logik ist!




Wo ein Wille ist


Wenn ich einen Betonpfosten übersehe und mir deshalb schmerzhaft die Zehen daran anstoße, habe ich nicht das Gefühl, dass mir gerade jemand Gewalt angetan hat - manchmal schelte ich mich noch selbst für meine Dummheit. Ähnlich übrigens, wenn ich vor mich hinträume, aus Versehen eine Person vor mir anremple und diese mich dann zurückweist. Selbst wenn mein Freund mir auf den Fuß steigt ist das für mich noch keine Gewalt, solange er selbstverständlich wieder runtergeht sobald ich ihn darum bitte.

Was ist schon Freiheit?

Anders fühle ich mich, wenn er seinen Fuß nicht runternehmen würde, mich dabei noch angrinst und mir klar wird, dass er das bewusst tut um mir zu schaden. Dieses Gefühl habe ich auch, wenn mich jemand absichtlich blamieren möchte, mir egoistisch etwas nimmt was mir wichtig ist oder mir körperlich auf den Leib rückt, obwohl ich zu verstehen gegeben habe, dass ich das nicht möchte.


Wenn wir hier anfangen, genauer hinzuschauen, merken wir vielleicht, wie stark man sortieren muss um zu verstehen. Als Fazit würde ich im Moment sagen, dass Gewalt dort anfängt, wo jemand bewusst handelt - nicht zwingend nur um mir zu schaden, sondern auch weil er rücksichtslos nur an sich selbst denkt und dabei meinen Lebensraum verletzt.


Es ist also der Wille des Einzelnen dahinter, der den Unterschied macht und nicht, ob ich körperliche Schmerzen erleide. Am meisten Schmerzen habe ich wahrscheinlich bei der Situation mit dem Betonpfosten - da habe ich mir dann vielleicht sogar etwas gebrochen - trotzdem ist sie kaum so schlimm für mich, als wie wenn ich absichtlich vor allen Leuten bloßgestellt werde. Das alles mal als Beispiel.

Raumeinnehmen
Konkret aber kann ich das auch auf die Arbeit mit dem Pferd übertragen. Nehme ich meinen Willen raus und konzentriere ich mich nur auf meinen persönlichen Individualraum, darf ich diesen verteidigen. Stehe ich zum Beispiel auf dem Reitplatz und ziehe einen Bogen mit der Peitsche um mich und das Pferd läuft hinein, dann ist es, als wie in dem Beispiel wo ich mir meine Zehen anschlage. Da kann ich wirklich nichts dafür, vor allem wenn das Pferd definitv genug Platz zum Ausweichen hatte.




Gebrochener Stolz


Wenn wir uns das Fluchtverhalten der Pferde wie oben geschildert anschauen, dann müssen wir eigentlich zugeben, dass kaum etwas in der heutigen Reiterei so mal eben gewaltfrei genannt werden kann - auch Methoden wie das Join Up von Monty Roberts nicht. Wirklich wäre das nur, wenn ein Pferd in jeder Sekunde die freie Wahl hat zu gehen und wir nicht versuchen, es dazu zu bringen etwas zu tun.


Nie ist das Pferd im Sport gut genug
Die Wenigsten haben aber den Mut dazu, genau das geschehen zu lassen. Entweder wird das Pferd von vorneherein so terrorisiert und verschnürt, dass es keine Wahl mehr hat, oder bis zur Erschöpfung im Round Pen gescheucht, bis es sich unterwirft. Beides erniedrigt das Pferd und seinen Willen - seine Schönheit. Hinzu kommt noch, dass kaum ein Pferd im Gegenzug einmal die Möglichkeit hat, sein Können wirklich zu zeigen. Egal wie hoch sie springen und geschmeidig sie tanzen - nie ist es wirklich gut genug. Beim Menschen wären bei so einem Leben Minderwertigkeitskomplexe und Depressionen noch harmlose Auswirkungen.


Doch wenn ein Pferd freiwillig kommt um mit uns zusammenzusein und zu arbeiten, sich zu zeigen - das ist wahres Glück und tatsächlich möglich! Alles was wir brauchen ist eine gesunde Portion Demut und die Bereitschaft, dem Pferd etwas Freiraum bieten zu wollen.




Fazit: die eigene Furcht vor der Gewalt


Spaß und Energie bei der freien Arbeit
Einen sehr ähnlichen Artikel schrieb ich bereits im Juli dieses Jahres zum Thema Autorität in der Erziehung. Ich will niemanden überzeugen denn ich weiß, dass ich das gar nicht könnte. Es gibt Menschen, die fürchten die Gewalt und würden von daher niemals nie in eine Situation gehen, wo es diese braucht - meinen sie zumindest.


Dazu möchte ich nur kurz erwähnen, dass durch diese Nicht-Konfrontation sich die Ebene der Gewalt schnell auf eine andere verlagert. Das kann sein, indem man dann zu Methoden greift, die ohne Aufregung und ohne Streit auskommen, aber unterschwellig auch jede Form von Kommunikation einstellen.


Das ist dann wie, als ob mein Freund auf meinem Fuß stehenbleibt, aber so tut, als wäre da nichts. Wenn ich dann anfange vor Schmerz zu heulen und ihn mit der Körperkraft des Schmerzes wütend herunterschubse, schaut er mich verständnislos an und meint noch, ich hätte irgendein Problem, dass ich meine Aggressionen nicht unter Kontrolle hätte.


Ich wäre ihm in so einem Falle dankbar gewesen, wenn er mich zuvor angesprochen und gebeten hätte aus dem Weg zu gehen - dann wäre er mir hoffentlich noch nichteinmal auf den Fuß gestiegen.


Das als Beispiele mit auf den Weg und nun wünsche ich ein schönes Wochenende!
- Jaana

Samstag, 1. Oktober 2011

Der Eselhengst

Heute, da sitze ich zum ersten Mal hier auf unserer Wiese mit dem Laptop und mir wird bewusst, dass einer unserer vierhufigen Familienmitglieder auf diesem Blog bisher deutlich zu kurz kam : unser 16jähriger Eselhengst Fanou.

Eigentlich vergesse ich damit unseren besten und wichtigsten Lehrmeister zu würdigen, denn nichts geht über die Willenskraft und Persönlichkeit dieses Wesens. Man findet viele Meinungen dazu, dass Eselhengste besonders stur und zum Teil auch sehr territorial bis hin zu gefährlich sein können. Dem stimme ich zu, nur finde ich da nur etwa 10% dessen reflektiert, was unser Eselhengst für uns eigentlich ist.

Ich möchte von Liebe sprechen und von Wahrheit. Das ist es nämlich, was ein Esel immer wieder von einem einfordern wird. Er geht nicht wenn es das nicht braucht, weicht nicht, wenn er nicht weiß, dass du es ernst meinst und wird dich einfach abschleifen, wenn du ihm nichts bietest, wozu es sich lohnte zu bleiben.

Doch gerade das lässt uns spüren, wie wertvoll einem Tier die Beziehung zu uns ist. Fanou ist die Überlegenheit in Person und doch macht es genau das aus, dass man sich in seiner Gegenwart so wohl fühlen kann. Er beherrscht seinen Körper und sehnt sich nach einem ruhigen Moment mit einer Person seiner Wahl, die bereit ist, völlig loszulassen von allen Konzepten und Machtkämpfen.

Es ist alles oder nichts – Wahrheit oder Trennung.

Ich glaube, viele Eselbesitzer werden sich in dem Geschilderten wiederfinden. Jetzt sollte man aber nicht vergessen, dass Fanou Hengst ist und auch bleiben wird. Zwar wirkt er mit seinen 1,08 Stockmaß eher unscheinbar, aber wer die Energie und vor allem körperliche Kraft erlebt, die sich in wenigen Sekunden gezielt entfesselt, lernt man einen gehörigen Respekt vor der Natur !
Die Kraft und Energie die Fanou entfesseln kann ist unglaublich - zusätzlich zu seiner Mimik. Ponyhengst Titi muss ganz schön mitdenken um schneller und geschickter im gelegentlichen Spiel zu sein.

Ein Beispiel : alle jungen Hunde versuchen früher oder später einmal, ob man Pferde eigentlich auch jagen kann. Titi, das Pony findet das immer besonders lustig und kostet mich den letzten Nerv, wenn er mit ein paar kleinen Sprüngen den Hund auch noch zum Spielen auffordert. Ich finde das aber nicht gut und vor allem auch gefährlich. Habe da schon schlimme Dinge erlebt. Wie löst Fanou das Problem eines solchen Störenfrieds ?

Fanou hat den Salzleckstein im alten Paddock wiedergefunden. Ziege Joy würde auch gerne, aber wartet. Deshalb bleibt er auch ganz gelassen stehen. Das er alles im Überblick hat ist keine Frage ...
Er stellt sich in die Mitte seines Paddocks und wartet. Kommt der Hund von hinten, kickt er einmal drohend. Er bleibt so lange stehen, bis der Hund sich ausgetobt hat. Super – aber damit noch nicht vorbei : der Hund wiegt sich also in Sicherheit und stromert in dem Paddock herum. Fanou wartet einen günstigen Moment ab und kommt dann urplötzlich und ganz gezielt von hinten, packt eventuell einmal mit dem Maul zu, quietscht, trötet, stampft und presst die Ohren an den Hals. Noch nie ist einem unserer Tiere etwas passiert und egal ob Hund, Schaf, Katze, Ziege oder ähnliches hat jemals erneut versucht, ihn danach nocheinmal in Frage zu stellen. Das wissend grasen Pony und Esel inzwischen sogar gerne mit den Schafen zusammen (wir sorgen immer dafür, dass die Schafe eine Rückzugsmöglichkeit für Notfälle haben) und die Schafe bleiben gerne in der Nähe des Esels, denn er bietet, eigentlich als Einziger, wirkliche Sicherheit.

Jedes Auto wird begrüßt und jede Fütterung penibel überwacht. Einmal ließ ich Esel und Denicheur zusammen. Nach etwas Herumgelaufe schlich sich Fanou in Zentimeterschritten ganz friedlich an das große Warmblutpferd heran und plötzlich gab er einen grunzenden, erbosten Ton von sich, hüpfte mit allen vier Hufen seitwärts und während Denicheur vor Schreck schon am anderen Ende der Koppel war, stand er zufrieden an dem Platz des Pferdes und las Haferkörner auf.

Ich glaube, Fanou ist für sich der Chef unserer kompletten Wiese und alle sind ihm dankbar. Ich möchte definitv nicht in der Haut der Person stecken, die sich gründlich mit ihm anlegt, aber von solch einem Wesen im Zusammensein lernen zu dürfen, macht mich froh und stolz !

In Schafherden ließ man früher oft Esel mitlaufen, da diese bereit waren, die Herde vor den Wölfen zu verteidigen. Das glaube ich heute ohne zu zögern. Was den sozialen Instinkt betrifft und die Verteidigungsbereitsschaft, so sehe ich wenig, was einen Esel übertrifft. Aber eben auch die Bereitschaft, sich in allem Stolz, an die Seite der Personen zu stellen, die er liebt. Ich kann Fanou heute selbst dazu überreden, im See zu baden – was definitv gegen seine Vorstellungen von Vernunft geht – allein, weil ich es für ihn mache und im guten Willen. Klar geht das nicht über ein bisschen Diskussion – das ist, um sein Gesicht zu waren – aber letztlich genießt er es in den heissen Tagen, wo die Mücken ihm die Beine wund beissen.

Seien sie vorsichtig bevor sie sich einen Eselhengst zulegen, wenn sie glauben, sie könnten ihn brechen – wenn sie ihn stattdessen einfach lieben und ehrlich zu ihm sind, wird er ihnen etwas ganz besonderes geben : ehrliche Verbundenheit und Liebe.

Umso trauriger bin ich natürlich, wenn ich kastrierte Esel sehe – was ist das für eine unschöne Art, ein solch wunderbares Wesen zu brechen !?