Freitag, 9. September 2011

Mit Freude Neues erforschen - Checklist Teil 2

 Teil 2 der Checklist-Reihe

Pferde sind von Natur aus neugierig. Sie spielen immer mit allem Möglichem herum, solange sie sich in einem entspannten Umfeld bewegen. Für mich ist es ein Zeichen, ob ein Pferd aufgeweckt ist und an mir und seiner Umwelt interessiert ist oder nicht - weil es zum Beispiel unter Stress steht oder abgeschalten hat.

Jedes Pferd hat selbstverständlich unterschiedlich stark Freude am Spielen und Ausprobieren. Manche sind von Haus aus skeptisch allem Ungewohnten gegenüber. Deswegen geht es hier in dem Artikel nicht darum, dass man erwarten sollte, dass jedes Pferd "Hurra!" ruft, wenn es einen Ball oder eine Tüte sieht, sondern darum, wie man in einer Beziehung mit neuen Dingen umgehen kann.

1.: der Check: 
Zum ersten Mal zeige ich Vertigo ein Pad. Er schaut neugierig.
Was passiert, wenn sie ihr Pferd mit etwas völlig Unbekanntem konfrontieren (natürlich wenn das Pferd völlig frei ist)? Kommt es und beschnüffelt es oder hält es sich auf Abstand so lange sie das Ding bei sich haben?

2.: Warum ist dieser Punkt so wichtig?
Was ich jetzt sage, mag manchem Reiter gar nicht gut schmecken; Für mich ist chronische Schreckhaftigkeit beim Pferd (also, wenn ein Pferd immer vor allem scheut, auch im Stall etc. - nicht wenn es wirklich erschreckt wird und dann ein paar Hopser zur Seite macht) ein Zeichen von übermäßigem Stress oder, und das ist besonders häufig der Fall, ein Zeichen für wenig Vertrauen in die Beziehung.

Ich will das, was ich meine, genauer erklären, indem ich mehrere Beispiele anführe.

  1.  Beispiel: Pferd erschreckt sich Ich bin mit meinem Pferd unterwegs durchs Dorf. Ein Hund rennt kläffend an ein Gartentor. Logischerweise erschrickt sich mein Pferd. Je nach Temperament und Erfahrung meines Pferdes und auch meiner eigenen Gelassenheit, wird es sich mehr oder weniger schnell wieder einkriegen - spätestens wenn wir zu Hause und im Stall sind.
  2. Beispiel: Pferd ist skeptisch und ängstlich Seit heute steht neben dem Reitplatz ein Anhänger mit im Wind flatternder Plane. In der Ecke - zum Beispiel bei der Bodenarbeit - buckelt mein Pferd los und versucht zu fliehen. Je nachdem, wie ich mit der Situation umgehe, aber spätestens wenn der Hänger wieder weg ist, entspannt sich die Situation.
  3. Beispiel: Pferd verweigert sich komplett Beim Spaziergang müssen wir an einer gewaltigen Landmaschine vorbei. Mein Pferd entscheidet sich, hier auf keinen Fall vorbeizugehen. Je nach Temperament meines Pferdes kann ich mit klarer Diskussion vielleicht etwas erreichen, aber manchmal kommt man richtig ins Kämpfen und das Vorbeikommen wird undenkbar, ja sogar gefährlich, weil sich das Pferd immer mehr aufspult. 
  4. Beispiel: Augen zu und durch Ich reite auf meinem Pferd, schwatze, gröhle und turne auf seinem Rücken herum, während es einfach weitertrottet. Es hat schlichtweg abgeschalten und folgt dem, was es als seine Aufgabe zu verstehen meint.
  5. Beispiel: Energie Ein Windhauch lässt die Blätter rascheln ... Mein Pferd nimmt die Energie auf und macht ein paar Bocksprünge.
  6. Ich gehe in die Koppel. Er schnüffelt.
  7. Beispiel: Mein Pferd ist neugierig Ich muss Baumaterialien über die Koppel oder an den Boxen vorbei in einer klapprigen Schubkarre transportieren. Mein Pferd kommt auf mich zu, schaut, was ich da tue und interessiert sich sehr für das, was ich da habe - es könnte ja etwas Tolles sein, denn das ist es eigentlich immer, wenn ich etwas dabeihabe.
Um zu allen Beispielen etwas wirklich Interessantes zu schreiben, müsste ich ein ganzes Buch veröffentlichen. Für mich sind alle Reaktionen des Pferdes in jeglicher Situation logisch begründet. Wenn ich jetzt von chronischer Schreckhaftigkeit schrieb, dann meinte ich, wenn sich ein Pferd in so einer Situation übertrieben verhält. Ein solches Pferd wird unter Dauerspannung stehen - bereit, bei jeder hastigen Bewegung, zur Seite zu springen. Diese Pferde sind nicht selten und werden oft als Spinner abgetan. Nur wenige davon sind aber tatsächlich derart temperamentvoll, es mangelt im Normalfall mehr am Vertrauen und liegt vielleicht auch an einem haltungsbedingten, hohen Stresspegel.  Ein abgeschaltetes Pferd erkenne ich daran, dass es keine der Verhaltensweisen mehr zeigt, und nur noch, wie in Beispiel 4, vor sich hintrottet.
Erst lege ich es nur an seine Seite.

Man sieht hier vor allem, dass Schreckhaftigkeit und Fluchtverhalten des Pferdes nicht so leicht über einen Kamm geschoren werden kann, indem man ein Pferd "Planensicher" macht. Das geht höchstens über Abstumpfen, was früher oder später zum Zustand in Beispiel 4 führt, der sich dann dauerhaft einstellt.
 
Zurück zum Thema des Artikels.
 
3.: Was habe ich davon, wenn mein Pferd mit Neugier an neue Reize herangeht?
Die Frage ist wohl weniger was es mir bringt als dass, was das Pferd mir damit sagt. Noch ein Beispiel: ich mache den obenstehenden Check indem ich mit einer Tüte zu einem jungen Pferd gehe. Ich bleibe gelassen stehen und raschle ein wenig. Vertraut mir das Pferd, kennt es mich als jemanden, der immer tolle Spiele in der Tasche hat und ist die Situation allgemein entspannt, wird es Interesse in irgendeiner Art zeigen. 
 
Je stärker die Bindung, desto mehr wird sich das Pferd von sich aus interessieren. Verspielte Pferde werden schnell um mich herumstehen und alles mit der Tüte tun, was ihnen einfällt. Anderen schnuffeln nur einmal kurz und dann ist es auch wieder gut.

Jetzt liegt es drauf. Man sieht seine Skepsis.
Abgeschaltete Pferde werden Sie auf diese Weise kaum interessiert bekommen. Traumatisierte Pferde scheuen und kommen dann nicht wieder. Das Gleiche kann Ihnen passieren, wenn Sie selbst angespannt und ängstlich sind.
 
4.: Was sagt mir mein Pferd damit?
Kurz gesagt; kommt es trotz der Anwesenheit von etwas Unheimlichen zu Ihnen, bedeutet das, dass es Ihnen vertraut. Rennt es einfach nur weg und kommt nicht mehr, heisst das, dass es lieber auf Abstand bleibt und auch Sie damit in Frage stellt; vielleicht sind Sie jetzt in seinen Augen auch ein "gruseliger Gegenstand". Letzteres muss nicht immer negativ sein, sondern bei einem skeptischen Pferd ist das auch ganz normal. Trotzdem wäre es, wenn Sie Ihr Pferd einmal mit gutem Gefühl reiten wollen, ratsam, auf den ersteren Zustand hinzuarbeiten.
 
Reagiert Ihr Pferd ohne Neugier, dann akzeptieren Sie bitte, dass es jetzt sagt: "Kein Interesse". Gründe gibt es viele, aber machen Sie Ihre Beziehung zum Pferd nicht kaputt, indem Sie es zwingen, sich damit zu beschäftigen. Freuen Sie sich entweder, wenn Ihr Pferd wirklich gelassen reagiert, denn dann können Sie mit einem sichereren Gefühl im Magen aufsteigen. Haben Sie das Gefühl, dass es Ihrem Pferd antrainiert wurde, sich nicht interessiert zu zeigen, lassen Sie es trotzdem sein und arbeiten Sie ersteinmal an der Bindung.
 
5.: Was kann ich konkret tun?
Zum Schluss guckt er aber dann doch zufrieden.
Machen Sie sich selbst zu einer interessanten und vertrauenswürdigen Person. Wie ihr Pferd letztlich auf Dinge reagiert hängt nämlich zum großen Teil davon ab, wie gelassen und souverän Sie selbst mit den Dingen umgehen. Ein Pferd reagiert extrem sensibel auf Stressreaktionen wie Verspannungen, Herzklopfen, Angstschweiß, unsichere Körpersprache und -haltung, Stimme und so weiter. 
 
Suchen Sie Orte der Entspannung und setzen sich einfach zu Ihrem Pferd auf die Koppel, teilen einen Moment mit ihm, lesen ein Buch, schreiben ... nehmen Sie einen Rucksack mit. Drängen Sie dieses dem Pferd nicht auf sondern lassen es kommen und gehen wie es will (ohne Sie zu zertrampeln versteht sich). Nehmen Sie Regenjacke oder -schirm mit, damit Ihr Pferd diese schoneinmal gesehen hat, bevor Sie mal im "Ernstfall" damit anrücken weil es wie aus Kübeln gießt.
 
Rennt ihr Pferd davon, bleiben Sie gelassen. Nehmen Sie sich die Zeit zu warten und zu klären. Sie können auch ein anderes Pferd dazunehmen, welches keine Scheu zeigt.
 
Zwingen Sie es nicht dazu, sich etwas anzusehen, wie es in mancher Form der Bodenarbeit praktiziert wird. Dabei geht es um reine Machtabklärung und der Wille des Pferdes wird mit Gewalt gebrochen. Das hat auch nichts mehr mit Anti-Scheu-Training zu tun und gar nichts mehr damit, worum es hier geht.
Dies ist keine Art, ein Pferd FÜR etwas zu interessieren, sondern reine Dominanzabklärung die ein Aufgeben und Abstumpfen des Pferdes zur Folge hat.
 
Sie können natürlich daran Arbeiten, wenn Ihr Pferd vor einer Sache wirklich Angst hat. Am besten Funktioniert es aber immer über Nachahmung, das heisst, Sie machen Ihrem Pferd etwas vor und es kann dann - möglichst wenn es frei ist - selbst mit der Situation umgehen.
 
Ein Pferd ist ein Fluchttier - bleibt es in einer Situation der potentiellen Gefahr bei Ihnen, so ist das ein Beweis nicht nur von Respekt, sondern von Vertrauen. Verspielen Sie dieses Geschenk nicht leichtsinnig! 

2 Kommentare:

Insa´s hat gesagt…

hallo :)
ich habe ja schon mal geschrieben wie begeistert ich von deinem blog bin und ich muss es jetzt noch mal los werden :D
außerdem denke ich, dass es eine wunderbare idee wäre, wenn du wirklich ein buch schreiben würdest, um dein wissen in noch größerem rahmen zu vermitteln. ich würde es auf jeden fall kaufen und viele, viele andere mit sicherheit auch! :)
ich kann nur sagen; weiter so!
liebe grüße, insa

Jaana hat gesagt…

Hallo Insa!

Es freut mich natürlich auch immer wieder, wenn ich mitkriege, dass Leute meine Artikel gerne lesen ;-) Danke danke!

Ja, vielleicht fasse ich das alles hier wirklich mal in einem Buch zusammen - etwas umgeschrieben versteht sich ;-) Im Moment bin ich sehr froh, im Internet meine Message zu verteilen, weil es doch etwas mehr braucht, sich ein Buch zu kaufen - ausserdem gibt es ja schon viele gute Pferdebücher.

Aber eines Tages ist es bestimmt soweit!

VLG
Jaana